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#fürneuss

CDU
Dr. Jörg Geerlings für den Arbeitskreis Europa

Die größte Erweiterungsrunde in der Geschichte der Europäischen Union steht unmittelbar bevor

21. März 2003 6 Minuten Lesezeit

Die Staats- und Regierungschefs der 15 EU-Mitgliedstaaten haben bei der Tagung des Europäischen Rates am 12. und 13. Dez. 2002 in Kopenhagen die Beitrittsverhandlungen mit Estland, Lettland, Malta, Polen, der Slowakei, Slowenien, der Tschechischen Republik, Ungarn und Zypern abgeschlossen. Für die mittel- und osteuropäischen Staaten endet mit der EU-Osterweiterung und der vorangegangenen Aufnahme in die NATO die seit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes bestehende geopolitische Zwischenlage. Die EU schließt mit der Aufnahme von zehn neuen Mitgliedern die größte Erweiterungsrunde in ihrer Geschichte ab. Sie besteht anschließend aus 25 Mitgliedstaaten, ihre Bevölkerung wächst um 75 Mio. auf dann rund 450 Mio. Einwohner. Die Erweiterung führt zu einer flächenmäßigen Vergrößerung des Territoriums der EU um ein Drittel; zugleich verschiebt sich ihr geographischer Schwerpunkt in Richtung Mittel- und Osteuropa.

Begonnen hatte der Heranführungsprozess der mittel- und osteuropäischen Reformstaaten an die EU bereits kurze Zeit nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Zwangsherrschaft in der historischen Zäsur von 1989/90. Zunächst schloss die EU mit diesen sog. Europaabkommen, die bereits eine Perspektive für den Beitritt enthielten. Der Europäische Rat (ER) von Kopenhagen nannte 1993 erstmals konkrete Beitrittskriterien: Eine demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, die Wahrung der Menschenrechte, die Existenz einer funktionsfähigen, den Kräften des Wettbewerbs standhaltenden Marktwirtschaft, die Übernahme des acquis communitaire sowie die Anerkennung der politischen Ziele der EU. Im Oktober 2002 bestätigte die Europäische Kommission auf der Grundlage der für jedes Land erstellten Fortschrittsberichte die Beitrittsreife von zehn Kandidatenländern und empfahl, die Verhandlungen mit ihnen bis Ende 2002 abzuschließen.

Der weitere Zeitplan sieht vor, dass der Beitrittsvertrag nach Stellungnahme durch die Europäische Kommission und Zustimmung durch das Europäische Parlament am 16. April 2003 in Athen unterzeichnet werden soll. Nach seiner Ratifizierung in allen Mitgliedstaaten und in den einzelnen beitretenden Ländern unter Berücksichtigung von Referenden, wo sie vorgesehen sind, können diese Staaten am 1. Mai 2004 der EU beitreten und ihre Völker an den im selben Monat vorgesehenen nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen. Unmittelbar nach dem Beitritt wird auch die Europäische Kommission um je ein Mitglied aus allen neuen EU-Mitgliedstaaten verstärkt; vorübergehend kann sie dann aus 30 Mitgliedern bestehen. Das neugewählte Europäische Parlament muss der Ernennung des künftigen Kommissionspräsidenten durch den Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs und der Kommissionsmitglieder durch den Allgemeinen Rat zustimmen. Die Amtszeit der nächsten Kommission, in der jeder Mitgliedstaat nur noch ein Mitglied stellt und die demnach maximal aus 25 Mitgliedern bestehen wird, beginnt am 1. November 2004. Zum gleichen Zeitpunkt treten auch die Bestimmungen des Vertrages von Nizza über die Ausdehnung der qualifizierten Mehrheitsentscheidung und die Beschlussfassung im Rat in Kraft. Weitere Reformen der EU-Institutionen sind unerlässlich angesichts der vielfältigen Anforderungen an die Gemeinschaft.

Einer der streitigsten Punkte war naturgemäß die Finanzierung der Erweiterung. Dabei erzielte der Europäische Rat in Kopenhagen einen Kompromiss bei der Finanzierung der Osterweiterung, der vorsieht, die erweiterungsbedingten Ausgaben für die Zeit zwischen 2004 und 2006 auf 40,853 Mrd. € zu begrenzen. Diese Summe überschreitet die Obergrenze, auf die sich der Europäische Rat bei seiner Sondertagung im Oktober 2002 in Brüssel geeinigt hatte; sie unterschreitet jedoch jene Ausgabenobergrenze für die neuen Mitgliedstaaten, die mit der finanziellen Vorausschau 2000 – 2006 im Rahmen der Agenda 2000 vom Europäischen Rat 1999 in Berlin festgelegt wurde, um 1,6 Mrd. €. Den ca. 41 Mrd. € an Transferleistungen von 2004 bis 2006 stehen Beiträge der neuen zehn EU-Mitglieder in Höhe von ca. 14 Mrd. € gegenüber. Vom Tag ihres Beitritts an nehmen die neuen Mitgliedstaaten voll an der Finanzierung der EU teil.
Der größte Teil der genannten Transferleistungen verteilt sich auf die Finanzierung strukturpolitischer Maßnahmen im Rahmen der Regionalförderung, für die 6,1 Mrd. € (2004), 6,9 Mrd. € (2005) und 8,8 Mrd. € (2006) angesetzt sind. Mit diesen Mitteln soll schrittweise das Wohlstandsgefälle zwischen Alt- und Neumitgliedern abgebaut werden. Polen und die Tschechische Republik haben bei den Verhandlungen erfolgreich darauf gedrängt, einen Teil dieser Mittel, über drei Jahre verteilt, ohne die sonst erforderliche Beantragung von Mitteln aus Förderprogrammen als pauschale Budgetzuschüsse zu erhalten. Für die Landwirtschaft der neuen EU-Mitglieder sind 1,9 Mrd. € (2004), 3,7 Mrd. € (2005) und 4,1 Mrd. € (2006) vorgesehen. Die neuen Mitglieder mussten akzeptieren, dass ihre Landwirte nach dem Beitritt 2004 zunächst nur Direktbeihilfen in Höhe von 25 % der entsprechenden Förderung, die den Landwirten der Altmitglieder gewährt werden, erhalten und diesen erst 2013 gleichgestellt werden. Als Kompensation dafür wurde jedoch die Regionalförderung aufgestockt.

Im Hinblick auf die Beitrittskandidaten Rumänien und Bulgarien bestätigte der Europäische Rat in Kopenhagen, dass die Verhandlungen mit dem Ziel fortgeführt werden, bei entsprechend weiteren Fortschritten die Kandidaten bei der Erfüllung der Beitrittskriterien 2007 als neue Mitglieder in die EU aufzunehmen. Zu diesem Zweck werden die Heranführungshilfen für beide Länder 2004 um 20 % und 2006 um weitere 20 % aufgestockt. Gleichzeitig wurden besondere Anstrengungen bei der Justiz- und Verwaltungsreform angemahnt.

Der Europäische Rat begrüßte zudem die Aufnahme von Verhandlungen zwischen türkischen und griechischen Zyprioten unter Schirmherrschaft der Vereinten Nationen zu einer umfassenden Lösung der Zypernfrage. Falls es dort bis Ende 2003 zu keiner Einigung kommt, soll die gesamte Insel Mitglied der EU werden, das Gemeinschaftsrecht zunächst nur im griechischsprachigen Südteil Wirkung erlangen.
Strittiges Thema bleibt das Beitrittsbegehren der Türkei. Nachdem der Europäische Rat 1999 in Helsinki beschlossen hatte, der Türkei den Beitrittskandidatenstatus zu gewähren, entschied er nun in Kopenhagen über das weitere Vorgehen. Zunächst soll die Europäische Kommission die Fortschritte der Türkei bei der Umsetzung der politischen und ökonomischen Reformen auf der Grundlage der 1993 aufgestellten Kopenhagener Kriterien bewerten. Entscheidet der Europäische Rat im Dezember 2004 auf der Grundlage dieses Berichts und einer Empfehlung der Kommission, dass die Türkei die politischen Kriterien von Kopenhagen erfüllt, wird die EU „ohne Verzug“ Beitrittsverhandlungen mit der Türkei eröffnen. Um die Türkei auf ihrem Weg zu einer EU-Mitgliedschaft zu unterstützen, verstärkt die EU die Heranführungshilfen. Parallel dazu soll die Zollunion zwischen der EU und der Türkei ausgeweitet werden.

In einer von der dänischen Ratspräsidentschaft vorbereiteten Erklärung der Staats- und Regierungschefs der 15 Mitgliedstaaten und der zehn Beitrittsländer unter dem Titel „Das eine Europa“ vom 13. Dezember 2002 bezeichnen die Gipfelteilnehmer diesen Tag mit Blick auf den Abschluss der Beitrittsverhandlungen als „großen Augenblick für Europa“ und bekräftigen das Ziel, „Europa zu einem Kontinent der Demokratie, der Freiheit, des Friedens und des Fortschritts zu machen“.